Entgegen aller Erwartungen wegen weltweiter Krisen wächst die Wirtschaft Deutschlands um 1,5 Prozent an. Das Bruttoinlandsprodukt steigt also um 1,5 Prozent, womit nach Aussage des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes die deutsche Wirtschaft in einer „soliden Verfassung“ sei.
Spiegel Online berichtet, dass die deutsche Wirtschaft seit 2011 nicht mehr so stark gewesen sei, vor allem dank „kauflustiger Verbraucher“, die ein Rekordhoch an Erwerbstätigkeit verzeichnen und vor allem durch steigende Löhne an Konsumkraft zugelegt haben.
Nach neoklassischem Wirtschaftsdenken ist ein BIP Zuwachs von 1,5 Prozent tatsächlich „solide“. Wenn alle reichlich Güter konsumieren und Dienstleistungen beanspruchen, also kräftig investiert wird, profitiert die Volkswirtschaft in ihrer Ganzheit. So sieht sie es, unsere gute alte Neoklassik. Damit das Ganze auch besonders glaubwürdig erscheint, tischt Spiegel Online gerne Schimären von „steigenden Löhnen“ und „Beschäftigungsrekorden“ auf. Seit der Agenda 2010 ist der Niedriglohnsektor kontinuierlich ausgebaut worden durch Minijobber, Leiharbeiter oder andere Beschäftigte in Dumpinglohnbranchen (dazu ansonsten in Albrecht Müllers Werk „Die Reformlüge“ weiter lesen). Wenn die Anzahl an Beschäftigten also seit 2010 anstieg, dann, weil auf Teufel komm raus Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor geschaffen wurden. Dabei spielte das Einkommen überhaupt keine Rolle. Mehr Arbeitsplätze um jeden Preis, das war der „Erfolg“ der damaligen rot-grünen Regierung.
Interessanterweise ist im Artikel von Spiegel Online überhaupt nur von Wachstum die Rede. Die Frage nach der Verteilung wird gar nicht erst gestellt. Ist in neoklassischem Wirtschaftsdenken aber auch gar nicht notwendig, da Wachstum Wohlstand für alle bedeutet – so sehen es die Lehrbücher und die von diesen beflügelten WirtschaftsexpertInnen und PolitikerInnen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) legt dabei ziemlich eindeutig eine Verteilung nahe:
Sowohl beim Vermögen als auch beim verfügbaren Einkommen. 50% der Bevölkerung verfügen über ein schwindend geringes Vermögen (1,4%!), 99,5% der Bevölkerung verfügen über 68,8% des Vermögens und unsere Superreichen (0,5% der Bevölkerung) haben alleine einen Anteil von 31,2% des gesamtgesellschaftlichen Vermögens. Beim Einkommen sieht es nicht besser aus. Laut Forschungsergebnissen des Instituts Arbeit und Qualifikation, kurz IAQ, von der Universität Duisburg Essen erhält in Deutschland jeder vierte lediglich einen Stundenlohn von 9,15 Euro, womit sie (jeder 4. Deutsche) nach der OECD auf der Niedriglohnschwelle liegen. Ca. 4,1 Millionen Menschen haben einen niedrigeren Bruttolohn von 7,00 Euro, 1,4 Millionen sogar weniger als 5,00 Euro. Aber nicht doch, Spiegel Online berichtet von steigenden Löhnen! Auf wessen Löhne soll sich diese abstruse Aussage eigentlich beziehen? Hedgefonds-Topmanager verdienen übrigens umgerechnet 400.000 Euro in der Stunde. Sind deren „Löhne“ etwa gestiegen? Der "flächendeckende" Mindestlohn von 8,50 Euro kann bei der Betrachtung der Wirtschaft Deutschlands 2014 kein Argument sein, dass Löhne gestiegen sind, da die Einführung erst mit Beginn des Jahres 2015 gültig gewesen ist.
Immerhin scheint Spiegel Online den makroökonomischen Zusammenhang von steigenden Löhnen, der damit einhergehenden höheren Konsumkraft der Verbraucher und folglich dem wachsenden BIP erkannt zu haben. In der Tat haben der mittlere und der niedere Einkommenssektor die höchste Konsumquote in der Realwirtschaft, da letztere Einkommensgruppen vorwiegend in realwirtschaftliche Güter und Dienstleistungen investieren. Demnach wären höhere Stundenlöhne also durchaus förderlich, um die Wirtschaft anzukurbeln. Mehr Nachfrage an Dienstleistungen und Gütern muss auch von Menschen in Form von Arbeit abgedeckt werden, sodass aus dieser Überlegung heraus höhere Löhne sogar mehr Arbeitsplätze schaffen würden. Aber Wirtschaftsverbände und die von ihnen (erfolgreich) initiierte PR Arbeit suggerieren fast schon allgegenwärtig einen Verlust an Arbeitsplätzen durch höhere Personalkosten wegen Lohnsteigerungen.
Die Zufriedenheit über das Wirtschaftswachstum des BIP um 1,5 Prozent, wie sie im Spiegel Online Artikel zum Ausdruck gebracht wird, teile ich jedenfalls nicht. Es wird nämlich weiterhin entgegen der (oben z.B. genannten) Zahlen und Fakten der Irrtum aufrechterhalten, dass quantitatives Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand führen würde. Das BIP hat mittlerweile einen Grundwert von 2903,2 Milliarden Euro in Deutschland. Zum Vergleich: 1950 waren es 50 Milliarden Euro. Das Niveau ist demnach beim aktuellen Stand extrem hoch und es wird im Anbetracht der Verteilungsproblematik Zeit, nicht mehr nur das Bruttoinlandprodukt steigern zu wollen, sondern der offenkundigen sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken. Dafür allerdings muss wirtschaftspolitisch Verteilung überhaupt erst eine Rolle spielen.
Wir leben in aufregenden Zeiten. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit, vor den Anschlägen von Paris, vor Weihnachten und vor der Ansammlung "besorgt"-rassistischer BürgerInnen namens PEGIDA dominierten drei außenpolitische Krisenherde Tag für Tag die Nachrichtenagenda: Der Ukraine-Konflikt, das Aufkommen des Islamischen Staats (IS) im Irak und in Syrien und der Dauerbrenner Israel-Palästina. Und wie immer, wenn es bei letzterem Konflikt knallt, tut die politische Linke wieder das, was sie (leider, so finde ich) am Besten kann: sie zerstreitet sich.
Dies ist umso bedauerlicher, da gerade in der jetzigen Zeit linke Antworten auf drängende Fragen dringend gebraucht werden. Linke Lösungen müssen nicht nur für die oben genannten außenpolitischen Konflikte entwickelt werden, sondern auch und in erster Linie für die langfristige Überwindung des kapitalistischen Systems, das jeden und jede in Konkurrenz zueinander stellt und durch den ständigen Wachstumsgedanken die Belastungsfähigkeit unseres Planeten und die seiner BewohnerInnen in Bälde übersteigen wird. Doch diese Lösungen können nur von einer breiten, an einem Strang ziehenden linken Bewegung gefunden und effektiv vorgetragen werden, die sich nicht bis aufs (bis jetzt zum Glück metaphorische) Blut bekämpft.
In diesem (meinem ersten) Beitrag für "Auf den Dritten Blick" möchte ich die drei Konfliktherde beleuchten und aufzeigen, welcher Kompromiss innerhalb der politischen Linken jeweils möglich wäre.
Israel-Palästina
Ich beginne mit dem Israel-Palästina-Konflikt, weil er gewissermaßen die Mutter vieler anderer Konflikte innerhalb der politischen Linken ist. So gibt es auf der einen Seite die Anti-Deutschen (Anti-D), die, über ihre namensgebende Einstellung, dass Deutschland sein Existenzrecht als Staat durch den Nationalsozialismus (und seine mit nichts zu vergleichenden Gräueltaten) verwirkt habe und alles Deutsche bekämpfenswert sei, hinaus vor allem Israel verteidigen und jeglichen Angriff auf Israel als antisemitischen Angriff bewerten. Auf der anderen Seite stehen die Anti-ImperialistInnen (Anti-Imp), die Israel als Teil eines imperialistisch-kapitalistischen Bündnisses (v.a. mit den USA) sehen, das nach der Weltherrschaft strebt und konkret große Unrechtstaten in Palästina begeht.
In jedem Falle haben beide Seiten ihre Bekloppten. Beispielsweise halte ich es für eine unhaltbare Einstellung zu sagen, man dürfe die rechtskonservative israelische Regierung nicht für den Siedlungsbau im Westjordanland kritisieren, weil es nunmal Israel ist. Gleichzeitig stehen auf Seiten der Anti-Imps auch genügend Leute, die mit linker Politik unvereinbare Positionen vertreten. Ich halte es z.B. nach den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus für unsäglich, sich als links zu bezeichnen und gleichzeitig von einer weltweiten Verschwörung des Finanzjudentums zu schwadronieren. Ebenso unverständlich ist für mich die Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israels, der nun einmal ein expliziter Schutzraum für die seit Jahrhunderten in Europa verfolgten Jüdinnen und Juden ist (wobei die Shoah nur die, wenn auch abscheuliche, Spitze des Eisbergs ist).
Anti-Ds und Anti-Imps stehen sich in diesem Punkt schon jahrzehntelang unversöhnlich gegenüber, was durchaus an eben jenen Bekloppten liegt. Dabei wäre es angebracht, die Lage gerade an diesem Brennpunkt so differenziert wie möglich zu betrachten. So müssten beispielsweise ganz klare Prinzipien festgelegt werden, an die sich die politische Linke in dieser Frage halten muss.
So darf das Existenzrecht Israels, schon allein aus historischer Verantwortung heraus, von der Linken auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Punkt.
Gleichzeitig muss das Ziel immer eine Zweistaatenlösung bleiben. Solange die PalästinenserInnen keinen eigenen Staat bekommen, wird jegliche Friedenslösung nur auf Zeit, also ein Waffenstillstand, sein. Aus diesem Grund ist auch die Siedlungspolitik der aktuellen israelischen Regierung und ihrer AnhängerInnen fatal, da den PalästinenserInnen immer mehr Raum und damit auch immer mehr die Hoffnung auf einen eigenen Staat, genommen wird, was zu einer weiteren Radikalisierung bestimmter Gruppen führt.
Ebenso muss aber klar sein, dass Israel, auf Basis seines Existenzrechts, das Recht hat, sich zu verteidigen. Bei all den schrecklichen Bildern aus dem Gazastreifen von zerstörten Gebäuden und verwundeten Kindern sollte man sich immer vergegenwärtigen, dass die Hamas Israel erst angegriffen und im Anschluss ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild verwendet hat, um daraufhin die eben genannten Bilder für ihre Propaganda zu nutzen. Die Hamas kämpft also mit unlauteren Mitteln und das hat sie auch immer getan. Und vor allem: Die Hamas ist keine progressive, linke Organisation. Während der Ersten und der Zweiten Intifada starben jeweils hunderte PalästinenserInnen durch ihre "eigenen Leute" - wegen Lynchjustiz oder Blutrache. Sich auf die Seite einer solchen Organisation zu schlagen, verbietet sich in meinen Augen für eine links eingestellte Person von selbst.
Eine Lösung wird es ultimativ nur am Verhandlungstisch geben, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Eine militärische Lösung gibt es nicht und sie wäre auch nicht begrüßenswert. Ob es allerdings unter den jetzigen Umständen mit einer rechtskonservativen israelischen Regierung und einer gespaltenen, Israel in großen Teilen verachtenden, palästinensischen Gesellschaft möglich sein wird, eine Zweistaatenlösung zu entwickeln und beschließen, wage ich zu bezweifeln. Der linke Wind der Veränderung müsste auch dort durchwehen, um den Weg für eine solche frei zu machen.
Und solange würde ich einigen Leuten gerne die Seite
"Nichts gegen Juden" von der Amadeu-Antonio-Stiftung ans Herz legen. Hart, aber herzlich.
Der Islamische Staat
In den letzten Monaten habe ich mich zum ersten Mal damit beschäftigt, wie die Karte mit den verschiedenen Staaten in Nahost eigentlich genau aussieht. Ich habe viele Dinge festgestellt, die ich nicht so auf dem Schirm hatte. Beispielsweise dass Syrien und der Irak beide aneinander und südlich an die Türkei grenzen. Außerdem, wie nah alles an Israel liegt. Und, dass der Iran auch direkt daneben ist und dieser im Osten direkt an Indien und Pakistan grenzt. Spannend ist es allemal, sich das mal genauer anzuschauen.
Ich habe viel gelesen über das Aufsteigen des Islamischen Staates und die Konflikte in der Region.
Allgemein kann man (oder muss man leider) sagen, dass vieles seinen Startpunkt nahm, als die USA Mohammad Mossadegh, den demokratisch gewählten Premierminister des Iran mit der
Operation Ajax stürzten und den verhassten Schah wiedereinsetzten, was letztendlich zur Islamischen Revolution 1979 führte, durch die das Land zu einer "Islamischen Republik" umgebaut wurde. Diese Ereignisse führten gemeinsam mit weiteren Aktionen westlicher Staaten (Unterstützung von Osama bin Laden und den Mudschaheddin in Afghanistan, um Sowjetunion zu bekämpfen und anschließend fallenlassen dieser Menschen; die Golfkriege und vieles mehr) zu einem immer stärker ausgeprägten Hass gegen die USA und "den Westen" im Allgemeinen.
Die Politik des Westens war im Übrigen immer darauf aus, den Einfluss in dieser ressourcenreichen (also vor allem: ölreichen) Region aufrechtzuerhalten und den Ressourcenfluss aufrechtzuerhalten. Das hat genausowenig mit einer Demokratisierung oder der Sorge um die Menschen dort zu tun (die man auch als USA und EU wie Dreck oder im besten Falle Spielbälle behandelt hat, indem man im Zweifel den stabilisierenden Diktator an der Macht gehalten hat) wie es mit irgendeiner jüdisch-imperialistischen Weltverschwörung zu tun hat. Es ist vielmehr die Bündelung nationaler Interessen, die völlig rational und nicht nach Kriterien der Menschlichkeit versucht wurden, durchzusetzen.
Als am 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers jeweils von einem Flugzeug durchbohrt wurden und einstürzten, war das schockierend und unverzeihlich. Das Verbrechen wird auch nicht dadurch besser, dass es erklärbar ist. Für die westliche Welt war dies ein neues Ausmaß an Grausamkeit, man konnte sich nicht vorstellen, dass etwas noch schlimmer sein könnte.
Eine Terrormiliz, die mordend und raubend durch Syrien und den Irak zieht und zehntausende Menschen umbringt, weil diese nicht dem Islam angehörten oder auch nur schiitische Muslime waren oder nicht genügend strenge sunnitische, das konnte man sich damals nicht vorstellen.
Genau dort sind wir jetzt mit dem IS angekommen. Der IS ist seit 2003 aktiv und war zunächst Teil von Al-Qaida, bis diese ihnen
nicht mehr radikal genug waren! Seitdem befindet sich der IS auch oft mit Al-Qaida im blutigen Kampf, wenn die beiden Organisationen aufeinandertreffen.
Dieses Wissen um den Hass auf den Westen und die Entwicklung des Islamischen Staates ist meiner Meinung nach wichtig, um aus einer linken Perspektive den Konflikt zu bewerten. Die deutsche Geschichte muss uns auch als Linke lehren, dass manchmal Gewalt angewendet werden muss, um gewisse Despoten, die Millionen von Menschenleben gefährden, zu stoppen. Aus diesem Grunde vertrete ich auch keine komplett pazifistische Position. Allerdings denke ich, dass militärische Mittel für die politische Linke natürlich erst das allerletzte Mittel nach Ausschöpfung wirklich aller anderen Möglichkeiten sein darf und auch erst, wenn entweder der Verteidigungsfall eintritt oder eben, wenn es absolut notwendig und moralisch und menschlich geboten ist, die Menschen vor Ort zu schützen.
Im Fall des Islamischen Staats fällt die Entscheidung sehr schwer, ob das der Fall ist. Für mich stellt sich vor allem die Frage, ob ein weiterer Eingriff des Westens in die Region in letzter Konsequenz zur Gründung noch brutalerer Organisationen führen würde. Wir konnten uns nichts schlimmeres als Al-Qaida vorstellen, wir können uns nichts schlimmeres als den Islamischen Staat vorstellen...
Und genau hier steht die politische Linke erneut im Mittelpunkt: Militär einsetzen ja oder nein? Darf man die KurdInnen in ihrem Kampf gegen den IS alleine lassen? Ich denke, die bisherigen Waffenlieferungen sind auf jeden Fall der falsche Weg. Zum einen ist der IS momentan nur so stark, weil er viele Waffenlager mit hochmodernen Kriegswaffen von der irakischen Armee erbeuten konnte - und wer garantiert, dass die kurdischen KämpferInnen nicht auch solche Waffen liegenlassen könnten. Und vor allem: welche kurdische Organisation unterstützt man eigentlich? Die mit der PKK verbündete, die v.a. in Syrien den Kampf führen, die aber auf der Terrorliste der UN stehen? Oder die Gruppe, die die Mehrheit im Irak stellt und, anders als die PKK, mit der Türkei kooperiert, indem sie Öl aus dem von ihr besetzten Bereich des Iraks liefert? Da diese beiden Gruppen untereinander verfeindet sind, würden sie höchstwahrscheinlich nach einem möglichen Sieg gegen den IS die Waffen aufeinander richten - und das wäre nichts, was irgendeinE LinkeR wollen könnte.
Gerade in diesem Punkt kann es keine einfache Lösung geben. Doch zumindest muss man sich in der politischen Linken eingestehen, dass die jeweils andere Meinung eine solide Basis hat. Neben absurden No-Go-Position (wie "Der zionististiche Imperialismus ist schuld") scheint mir der mangelnde Respekt vor der Meinung des anderen ein grundlegendes Problem innerhalb der linken Bewegung zu sein.
Ukraine-Krise
Apropos NATO. Die NATO ist ein wichtiger Teil des dritten Falles, bei dem es auch wieder ordentlich scheppert innerhalb der politischen Linken. Die Ukraine-Krise. Die NATO beteiligt sich nämlich an der Wiederaufnahme des Säbelrasselns, das es seit dem Ende des Kalten Krieges so intensiv nicht mehr gegeben hat. Es werden wieder Kampfflieger fliegen gelassen, um Stärke zu zeigen, es wird darüber gesprochen, überall in der EU die Wehrpflicht wiedereinzuführen, Rüstungsbudgets sollen erhöht werden. Was ist da eigentlich passiert? Und warum spaltet es die Linke?
Hangeln wir uns mal an den Fakten entlang. Putin ist ein Diktator und absolut keine progressive Kraft (z.B. bzgl. seiner Homosexuellengesetzgebung), so viel muss festgehalten werden. D.h. eine Solidarisierung mit ihm verbietet sich eigentlich für die politische Linke. Die Annexion der Krim war auch ein Meisterstück russischer Aggression. Russland ist also alleine Schuld? Halt.
Vor der Annexion der Krim kam noch ein Schritt - nämlich die Absetzung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und der damals amtierenden Regierung durch ein Bündnis "prowestlicher Kräfte". Die EU hat währenddessen den medialen Fokus brutal auf Kiew gerichtet und sich so gut wie möglich eingemischt, damit diese "Revolution" unter Boxer Dr. Eisenfaust Vitali Klitschko auch ja gelingt. Ich kann nicht wirklich etwas zum Demokratiegrad der Wahlen in der Ukraine sagen, aber für mich sah das doch sehr nach einem Putsch einer demokratisch gewählten Regierung aus, der vom Westen unterstützt wurde. Die Leute, die stattdessen zunächst eingesetzt und dann durch Wahlen bestätigt wurden, werden von Putin und von Teilen der deutschen Linken pauschal als "Faschisten" bezeichnet. Das ist tatsächlich etwas zu einfach. Ein guter Teil der Leute ist ein Netzwerk aus wirtschaftlichen Eliten: OligarchInnen, die in den letzten Jahren oft das eine oder andere Mal ihre Meinung zum Westen und zur EU geändert haben. Und andere sind tatsächlich FaschistInnen. Fun Fact: Der Ministerpräsident Jazenjuk hat einen Teil des Zweiten Weltkriegs im deutschen Fernsehen vor kurzem so dargestellt, dass die Sowjetunion in die Ukraine eingefallen ist und die Nazis gemeinsam mit ihren ukrainischen Verbündeten für die Freiheit der Ukraine gekämpft haben (
Quelle). Wie dem auch sei: die aktuelle Regierung der Ukraine ist meiner Meinung nach eher zweifelhaft. Ich denke, dass sie "witzigerweise" eher der russischen Regierung ähnelt als bspw. der deutschen oder französischen.
Diese Kritik an der ukrainischen Regierung muss genauso wie die an der russischen erlaubt sein. Ebenso muss Kritik an der NATO und der Strategie der EU erlaubt sein - allerdings gilt auch hier wieder: es ist reine Machtpolitik und keine jüdisch-imperialistische Verschwörung, die dahintersteckt. Die politische Linke sollte sich nicht darauf einlassen, sich auf eine Seite zu stellen. Auch in diesem Konflikt muss kühler Kopf bewahrt werden. Im Sinne des Friedens muss klargestellt werden, dass beide Seite ihre Fehler gemacht haben, ohne das irgendjemand gleich wieder als PutinversteherIn oder auf der anderen Seite von der Lügenpresse VerführteR beschimpft wird.
Außerdem muss eine Lösungsorientierung her. Die Ukraine ist ein tief gespaltenes Land, auch historisch gesehen gespalten. Obwohl einige ukrainische NationalistInnen versuchen, eine nationale Identität aufzubauen, die es nicht gibt, muss überlegt werden, ob eine Spaltung des Landes in Ost und West nicht eine sinnvollere Alternative wäre.
Ansonsten gibt es nur eine andere, wünschenswertere Perspektive: Die Ukraine als Ganzes, Bindungsglied und Möglichkeit des Dialogs zwischen Ost und West. Dafür müssen aber wiederum alle an einen Tisch und v.a. progressivere Kräfte her. Ob das realistisch ist, wird sich zeigen. Ein großer militärischer Konflikt in Europa muss auf jeden Fall vermieden werden!
Dieser Beitrag kann nur einen Anstoß für eine Diskussion (und vielleicht einen Heilungsprozess) bieten. Die politische Linke muss gemeinsam und ohne Spaltung für eine friedliche, solidarische Welt eintreten. Ein weiterer Kampf untereinander wird nur dem politischen Gegner helfen.
Von Samstag, den 10.01. bis Mittwochnachmittag, den 14.01. gab es 11.000 Follower, 12.000 Teilungen und 23.000 Favorisierungen für einen Twitter-Beitrag. Dabei handelt es sich nicht um einen B-Promi aus meiner Umgebung, sondern um eine 17-jährige Schülerin aus Köln, die nun für ihre Kritik an der Bildungsinstitution Schule hochgejubelt wird und in sozialen Netwerken durch ihr kritisches statement für Furore sorgt. Auf Twitter namentlich Naina twittert sie:
„Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen.
Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“
Da kann selbst Bildungsministerin Johanna Wanka nicht mehr an sich halten und lobt Naina für ihre Kritik, indem sie es als in ihrem hochehrwürdigen Interesse als Bildungsministerin bekundet, mehr Alltagsfähigkeit an Schulen zu vermitteln.
Gesellschaftliche Anschlussfähigkeit als Bildungsgut wirkt auf ersten Blick überzeugend und wünschenswert. Aber was bedeutet es denn, in der Schule mehr über Steuern, Miete oder Versicherungen zu unterrichten? Es wird ohne Weiteres als Sollzustand vorausgesetzt, Steuern, Miete oder Versicherungen zu lehren, zu unterrichten und beizubringen, wie sie „allgemein gesellschaftlich“ oder im „Alltag“ funktionieren. Auch die Kritikerinnen und Kritiker der 17-jährigen Kritikerin streiten ledigilich über die Zuständigkeiten, von „Hast du keine Eltern?“ bis hin zur Bemerkung des Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus: „Ein gewisses Maß an Alltagstauglichkeit müsse in der Familie vermittelt werden.“
Dass dem Verständnis von wirtschaftlichen Phänomen wie Steuern, Miete oder Versicherungen eine spezifische Theorie, ein spezifscher Ansatz wirtschaftlichen Denkens zugrunde liegt, interessiert dabei niemanden. Der 17-jährigen soll es weniger zum Vorwurf gemacht werden, aber von der Königin der Bildung und dem Fürsten der Lehrer hätte ich mir mehr erhofft als eine bloße Scheindebatte über Alltagstauglichkeit.
Integriert man wirtschaftliche Alltagsfähigkeit in welchem Rahmen auch immer in den Schulunterricht, bedeutet es in erster Linie die Indoktrination der selbstverständlich gewordenen neoklassischen Wirtschaftstheorie. Diese ist nicht aus heiterem Himmel selbstverständlich in den Köpfen sehr vieler Menschen unserer Gesellschaft verankert, sondern hat ihre historischen Wurzeln.
Als Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts die Klassische Politische Ökonomie einer Kritik unterzog, insbesondere, indem er die Herrschaftsstrukturen der Zeit respektive des Klassengegensatzes und der damit einhergehenden Ausbeutung des damaligen Proletariats monierte, delegitimierte er das vorherrschende ökonomische Paradigma. Adam Smith hielt den Subsistenzlohn als Überlebensgaranten noch für legitim und fand es auch unproblematisch, dass das Proletariat von der Wohlstandsmehrung ausgeschlossen war. Karl Marxens Ideen hingegen waren gesellschaftlich anschlussfähig (sic!), sodass sie von der aufstrebenden Arbeiterbewegung aufgegriffen wurden und dem Protest und den politischen Forderungen (Verkürzung des Arbeitstages, Verbot von Kinderarbeit etc.) Aufschwung und Nachdruck verliehen.
Die Bourgeoisie bedurfte eines alternativen Paradigmas, um ihre ökonomischen Interessen und somit ihre ökonomische Dominanz zu rechtfertigen. Ab den 1870er Jahren fing das neoklassische Paradigma an sich zu etablieren. Nicht lange fackelnd, ergriff die Bourgeoisie die Initiative, um mit der Neoklassik ihre ökonomischen Interessen zu untermauern. Dies gelang ihr ziemlich erfolgreich und im selben Zuge fing der Prozess der Institutionalisierung der Ökonomie an. Die neu eingeführten Professuren der Ökonomie wurden vorwiegend von Neoklassikern bekleidet und andere, alternative Paradigmen der Ökonomie (Historische Schule und Klassische Politische Ökonomie z.B) an den Rand gedrängt. Seit jeher (heute in modifizierter Form) dominiert(e) die Neoklassik im akademischen Bereich und auch an Schulen, womit die Wirtschaftswissenschaft bzw. die Volkswirtschaftslehre zu keinem kritischen Zugang zu Wirtschaft fähig ist und Schülern auch kein kritischer Umgang mit Wirtschaft respektive wirtschaftlicher Phänomene wie Steuern, Miete oder Versicherungen vermittelt werden kann.
Kritisches Denken an Schulen und Universitäten unabhängig von der Fachdisziplin zu fördern ist auch keine aus der Luft gegriffene Vorstellungen, sondern logische Konsequenz, wenn man bildungstheoretische Größen wie Max Horkheimer oder Wolfgang Klafki ernst nimmt. Das würde für das Studium der Wirtschaftswissenschaft und für den schulischen Wirtschaftsunterricht bedeuten, Wirtschaft auch aus der Perspektive anderer Paradigmen zu beleuchten, z.B. dem Keynsianismus oder der sozialwissenschaftlichen Politökonomie, mit denen Phänomene wie Steuern, Miete oder Versicherungen in ein völlig anderes Licht rücken würden. Aber was nicht sein darf, das kann ja nicht sein. Es wird lieber von Alltagsfähigkeiten im Umgang mit wirtschaftlichen Phänomenen gesprochen, auf dass gemeinsam mit der Bildungsministerin in neoklassischen Fahrwassern herumplätschert wird.