Wer in Hamburg wohnt, wird einem Thema derzeit wohl nicht aus dem Weg gehen können: Olympia. Viele Wahlberechtigte haben ihre Wahlunterlagen für das Referendum am 29. November 2015 bereits erhalten und stehen vor der Frage: Bewerbung für Olympia in Hamburg, ja oder nein? Die Hamburger Parteien und der Senat zelebrieren sich mit der Tatsache, dass Hamburg als einzige Bewerberstadt eine Volksabstimmung in dieser Frage abhält und scheinen ob ihrer basisdemokratischen Vorreiterrolle in Ruhm und Ehre kaum noch zu übetreffen sein. Wer so viel Demokratie und Bürgernähe beweist, muss die Spiele doch einfach verdient haben!
In der Tat ist das zwecks Olympiabewerbung durchzuführende Referendum ein obligatorisches und kein konsultatives Referendum, d.h., das Ergebnis der Wahl hat eine rechtsverbindliche Wirkung. Ein mehrheitliches JA erzwingt also eine Bewerbung für die olympischen Spiele, ein mehrheitliches NEIN verhindert eine solche Bewerbung. Olaf Scholz kann es gar nicht oft genug betonen, dass die Entscheidung bei den BürgerInnen liegt. Was auf den ersten Blick wie eine demokratische Legitimationsbasis zu sein scheint, ist beim zweiten, spätestens dritten Blick jedoch etwas komplizierter.
Wer die Wahlkampagne zu Olympia etwas genauer verfolgt hat, wird unschwer festgestellt haben, dass das Beteiligungsverfahren eher manipulativen denn ergebnisoffenen Charakter hatte. Die geradezu empor gejubelte Befürwortungskultur stand von Anfang an im Vordergrund, ohne zu argumentativer Abwägung oder kritischer Reflexion, vor allem in Sachen ernstzunehmender Risiken, anzuregen. Die Belege hierfür liegen auf der Hand oder vielmehr in der ganzen Stadt verteilt. Von Behördengebäuden über öffentliche Verkehrsmittel bis hin zu gigantischen Werbeaktionen wie letzten Sonntag auf der Hauptwiese des Stadtparkts wimmelt(e) es nur so von einseitigen Pro-Olympia-Aussagen. Den geneigten HamburgerInnen wurde eines glasklar suggeriert: für Olympia zu sein, heißt für die Stadt Hamburg zu sein, da alle davon profitieren.
Auch die Aufbereitung des Informationsheftes, das den Wahlunterlagen beigefügt wurde, lässt zu wünschen übrig. Von Seite 4 bis 10 treten SPD, CDU und Grüne für die Olympischen Spiele ein und dann passiert etwas groteskes: auf Seite 11 erscheinen Linkspartei und AFD gemeinsam, wobei der Linkspartei bloß ihr Wahlplakat vergönnt war und die AFD einen Kurztext präsentiert, in dem sie sich nach einer Auflistung fragwürdiger Proargumente mit dem vernünftigen Argument eines fehlenden, belastbaren Finanzierungskonzepts gegen die Spiele positioniert. Allerdings mit Bedauern. Auf ersten Blick wirkt es so, als sei der Kurztext der AFD Beschreibung des Wahlplakats der Linkspartei, es wird jedoch schnell deutlich, dass dies inhaltlich nicht aufgeht. Es gebietet sich schon aus politischen Gründen schlichtweg nicht, die AFD und die Linkspartei in einem Zug anzuführen. Nachdem die Parteien zu Wort kommen durften, erklärt der Senat, als ob die jeweiligen Parteien der Proseite noch nicht Stellung bezogen hätten, von Seite 12 bis 19 erneut die Begrüßung der Olympia in Hamburg. Seite 20 bis 27 ist der Bürgerinitiative Stop Olympia gewidmet, die auf verständliche und bürgernahe Art und Weise kritische Argumente vorbringt. Kritische und dubiose Aussagen finden sich einmal auf kuriose Weise auf Seite 11 und kritische Einwände von Seite 20 bis 27, wobei die kritische Volksinitiative eher wie ein unmotiviert angehängter Appendix wirkt, als ob man sich zum Ende am Rande mit dieser auch noch auseinandersetzen müsste. Der Stimmzettel weist ebenso durch seine Aussage „Ich bin dafür, dass [...]“ eine Protendenz auf, indem durch diese Formulierung nicht beide Optionen von JA und NEIN gleichwertig nebeneinander stehen, sondern eine Dafürhaltung sprachlich vorweg nahegelegt wird.
Knüpfen wir bei dem Argument des finanziellen Risikos an. Die Olympischen Spiele, von 1960 bis 2012, haben den im Voraus kalkulierten Finanzbedarf bisher immer deutlich überschritten, und zwar nicht in Form von Peanuts, sondern von durchschnittllich über 100%. Sei es durch die Bauprojekte für die Spiele in der Stadt oder durch strikte Auflagen des International Olympic Committees. Es werden zwar Finanzierungsmodelle vorgelegt, bei denen handelt es sich jedoch vielmehr um Szenarien als durch Zahlen und Fakten abgesicherte und somit belastbare und glaubwürdige Finanzierungskonzepte. Die Intransparenz der Finanzierungsmodelle erhärtet den Verdacht, dass es sich dabei lediglich um Annahmen/Vermutungen handelt. Abgesehen davon soll die gesamte Planung und Umsetzung der Infrastruktur für die Olympischen Spiele von internationalen Trägern verantwortet werden und es zeigt sich in Studien zu vorherigen Olympiastädten, dass vermeintliche Mehreinnahmen durch geförderten Tourismus den überspannten Finanzierungsbedarf nicht zu kompensieren vermögen. Auch das Argument Olympia als Jobmotor erweist sich als fragwürdig, wenn man bedenkt, dass nahezu ausschließlich kurzfristig geschaffene Niedriglohnjobs und Volunteerstellen geboten werden, um das Spektakel abzuwickeln. Entgegen aller fulminanten Beteuerungen des Senats und aller befürwortenden Parteien ist also mit aller Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der finanzielle Rahmen für die Olympischen Spiele gesprengt wird und gleichsam ein Ausgleich geschaffen werden muss. Der wirtschaftspolitische Standpunkt unseres Senats sollte hierbei nicht vergessen werden. Die vom Senat betriebene Sparpolitik und die im Rahmen dieser initiierten Schuldenbremse wird dazu führen, dass es keine zusätzlichen Ausgaben aus dem öffentlichen Haushalt geben wird, sondern vielmehr Kürzungen in sozialen und kulturellen Bereichen, um die höchstwahrscheinlichen Mehrkosten der Olympischen Spiele zu decken. Das in neoliberalen Zeiten ohnehin schlecht gestellte Leidenspaar Kultur und Soziales würde duch die Olympischen Spiele einmal mehr mit Füßen getreten werden.
Gerne wird innerhalb der Befürwortungskultur das große Potenzial innovativer Stadtentwicklung durch Olympia in Hamburg hervorgehoben. Es stellt sich ernsthaft die Frage, warum erst ein gigantisches Sportevent Anlass sein sollte, in die Infrastruktur der eigenen Stadt zu investieren, als ob erst profithungrige IOC-Funktionäre als Privatprofiteure vorhanden sein müssen, um Stadtentwicklung voranzutreiben. Sollte nicht eine ausreichende Finanzierung und Bereitstellung notwendiger Infrastrukturen selbstverständliche Aufgabe politischen Handelns sein? Ferner werden sich sämtliche Investitionen in die Infrastruktur auf olympiaspezifische Bereiche beschränken, die, auch wenn anschließend umfunktioniert (Olympiaschwimmhalle soll Spaß- und Erlebnisbad für alle werden...), den öffentlichen infrastrukturellen Bedarfen nicht gerecht wird. Wer meint, es gebe keine Bedarfe, sollte sich mal viele Schulen, Kindertagesstätten und die Universtät Hamburg anschauen oder sich den Zustand in Aufnahmelagern für Flüchtlinge z.B. vergegenwärtigen. Was infrastrukturelle Investitionen notwendig macht, wird durch Olympia entweder auf die lange Bank geschoben werden oder sogar gänzlich entfallen. Auch die Sanierungs- und Wohnungsbaumaßnahmen für die Olympischen Spiele auf dem Grasbrook werden viele Kosten mit sich bringen. Allein die Sanierung der Hafenflächen des Grasbrooks werden Kosten im Milliardenbereich verursachen. Der Olympiahaushalt wird das nicht alleine stemmen können. Es werden entweder öffentliche Steuergelder herangezogen oder Mietpreise erhöht werden müssen. In der Olympic City of London hat übrigens der Mietpreismechanismus gegriffen, um eben Sanierung und Wohnungsbau zu refinanzieren. Selbst bei verkündeter Mietpreisbremse und der Errichtung einiger Sozialwohnungen unter den Wohnungsbauten ist eine Mietpreiserhöhung im Grasbrook und mittelfristig in umliegenden Elbinselquartieren wie Wilhelmsburg und Veddel zu erwarten. Die Olympischen Spiele werden demnach dem Gentrifizierungsprozess auf der Elbinsel Vorschub leisten, welcher wiederum eine Verdrängung sozioökonomisch schlechter gestellter Menschen impliziert.
Große Sportevents sind Experimentierfeld für Sicherheitskonzepte. Selbst wenn entsprechende Gesetzgebungen von Land zu Land verschieden sind, ist mit vielen Sicherheitsmaßnahmen zu rechnen, die bedauerlicherweise nicht transparent gemacht und im Vorfeld nicht diskutiert werden. Inwiefern hier eventuell Rechte von BürgerInnen der Stadt verletzt werden, wird bisweilen nicht thematisiert und lediglich darauf verwiesen, dass es eine flächendeckende Videoüberwachung oder einen Einsatz der Bundeswehr nicht geben wird. Aber auch in vorherigen demokratischen Austragungsstaaten gab es eine digitale Überwachung öffentlicher Räume sowie eine Schaffung von Sonderzonen um die Sportstätten, auch einhergehend mit einer Aufrüstung von Sicherheitskräften. Dass die Bundeswehr hier nicht zum Zuge kommt und nicht flächendeckend videroüberwacht wird, sind eher Scheinargumente, da von einer Militarisierung der Polizei innerhalb solcher Sonderzonen im öffentlichen Bereich sowie von einer digitalen Überwachung ausgegangen werden kann. Ob also das Argument „sichere Spiele“ nicht eher zu Verstoßen gegen in der Verfassung gewährter Rechte führt, ist wegen mangelnder Transparenz nicht einmal diskutierbar. An der Stelle zeigen die Beispiele aus vorherigen Austragungsstaaten ebensolche Bürgerrechtsverletzungen, womit auch hierzulande unrechtmäßige Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen wahrscheinlich ergriffen würden. Demonstrationsrecht, Meinungsfreiheit sowie Datenschutz werden unter anderem wohl zeitweilig und in einem räumlich nicht einzuschätzenden Rahmen außer Kraft gesetzt werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die BürgerInnen Hamburgs auch kritische Argumente mit ins Kalkül ziehen, um nicht blindlings der einseitigen Befürwortungskampagne zum Opfer zu fallen. Es sollte doch zumindest gewährleistet sein, sich kritisch eine Meinung bilden zu können. Und zwar noch bis zum 29.11. Kritische Stimmen gibt es ja. Sie gehen im öffentlichen Diskurs jedoch unter.
Verwendete Quellen:
http://www.nolympia.de/
http://www.stopolympia.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationales_Olympisches_Komitee
https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Spiele
Wahlheft zum Bürgerschaftsreferendum