Donnerstag, 2. Juni 2016
Bedingungslos nicht antikapitalistisch
Warum man als Linker auch gegen das bedingungslose Grundeinkommen sein kann


Es ist wieder in vieler Munde: Da am Sonntag eine Volksabstimmung darüber abgehalten wird, ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) mal wieder ein Medientrend. Das BGE hat eine für das politische Leben ungewöhnliche Eigenschaft: Die Diskussionen darüber verlaufen nicht entlang der traditionellen Links-Rechts-Gräben, sondern vielmehr quer durch die Parteien und politischen AkteurInnen. Sowohl unter Linken als auch unter Neoliberalen hat das BGE BefürworterInnen und GegnerInnen – und das nicht zu knapp.

Da ich eine Menge Zeit unter linksgerichteten Menschen verbringe, seien sie nun Jusos oder nicht, habe ich auch etliche Diskussionen über das Thema geführt. Es ist eine dieser Debatten, die sehr anstrengend sind, gerade innerhalb solcher Verbände, da sie sehr emotional und sehr kontrovers geführt werden, ähnlich der Debatten, wie man zu gendern hat. Außerhalb der Jusos, wo sich mehrheitlich GegnerInnen des BGE tummeln (und das, worauf ich gleich komme, aus guten Gründen), habe ich oft den Eindruck, dass einem vorgeworfen wird, man sei nicht links, wenn man das BGE nicht unterstütze.

Ich kann dazu nur sagen: Mitnichten. Ich verstehe mich als demokratischer Sozialist und bin gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Nur warum?

Zunächst einmal ein rein realpolitisches Problem: Die Kosten! Wenn 80 Millionen BundesbürgerInnen jeweils jeden Monat 1000 Euro bekommen sollen, macht das 80 Milliarden Euro im Monat und 960 Milliarden Euro im Jahr. Der geplante Bundeshaushalt 2016 liegt bei etwa 316 Milliarden Euro. In Zeiten der wahnwitzigen Schuldenbremse dürfen diese Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden, allerdings bin ich der Meinung, dass dies das am wenigsten schlagkräftige Argument ist, da das Geld eigentlich da ist, in den Taschen der Reichen.

Was ich viel wichtiger finde ist, dass das BGE schlicht und ergreifend kein sozialstaatliches Instrument ist. Im Gegenteil: Durch eine „Vereinfachung“ der Sozialsysteme und Beschränkung der Leistungen auf das BGE wird nicht mehr individuell geschaut, wie es Menschen geht und wie man sie bestmöglich in die Gesellschaft integrieren kann, sodass sie ein gutes Leben führen können. Stattdessen werden ihnen 1000 Euro gegeben (oder mehr oder weniger) und ihnen dann ein schönes Leben gewünscht, für das sie nun völlig eigenständig verantwortlich sind.
Für viele Menschen mag das kein Problem sein, da sie wenige Probleme haben, wenige andere leben zufrieden in den Tag hinein; ein beachtlicher Teil der Bürgerinnen und Bürger dagegen hat Probleme, mit dem Leben in unserer Gesellschaft klarzukommen und ist auf die Unterstützung fürsorgender Sozialsysteme angewiesen. Eine Abschaffung dieser zugunsten einer vermeintlich positiven Individualisierung ist für diese Menschen eine Katastrophe.

Oft wird argumentiert, dass das BGE den Druck nimmt, der auf den ArbeitnehmerInnen lastet, da sie nach dessen Umsetzung nicht mehr arbeiten müssten. Ebenso sollen die Löhne steigen, da sie nun auch nicht jeden Job annehmen müssten und deshalb in einer besseren Verhandlungsposition seien. Aus meiner Sicht übersehen diese Argumente einige elementare Punkte. Zum einen kann es gut sein, dass staatliche Leistungen im Rahmen der Umsetzung des BGE zurückgefahren werden, die dann von den beispielhaften 1000 Euro bezahlt werden müssen. Je nach Höhe des BGE im Konzept ist die Problematik größer oder weniger groß ausgeprägt. Gleichzeitig schlägt das BGE den Gewerkschaften das Schwert aus der Hand: Wenn der Staat den Menschen schon einen Batzen Kohle gibt, gibt es keinen Druck auf die Unternehmen, nochmal einen großen Batzen draufzupacken – das BGE würde also vielmehr Löhne senken anstatt sie zu steigern. Mit der Folge, dass die ArbeitnehmerInnen zwar (wenn überhaupt) genausoviel Geld wie vorher bekommen, die Unternehmen aber einen höheren Anteil für sich behalten können.
Das bedeutet, dass das BGE nicht nur nichts gegen die Verteilungsungerechtigkeit tut, sondern diese noch weiter zugunsten des Kapitals verschiebt. Ja, es führt letztlich dazu, dass dem Thema Verteilungsgerechtigkeit möglicherweise kaum noch Bedeutung zukommen würde – es ist ja für alle gesorgt.

Schließlich, und das ist das Argument, welches für mich als demokratischen Sozialisten das spezifische ist, führt das BGE dazu, dass das Ziel der Vollbeschäftigung aufgegeben wird. Ich bin der Meinung, dass Arbeit für Menschen ein sinnstiftendes Element und extrem wichtig ist. Ich sage: Die Erwerbsarbeit ist zentral. Die Arbeit ist im kapitalistischen System ein Ausbeutungsverhältnis, doch man überwindet dieses System nicht dadurch, das Ziel, alle Menschen in Arbeit zu bringen, aufzugeben. Im Gegenteil. Nur wenn die Vollbeschäftigung erreicht ist und die ArbeitnehmerInnen dann mit gemeinsamer starker Stimme sprechen können, ist ein nachhaltiger, demokratischer Wandel möglich.
Um diese Vollbeschäftigung zu erreichen ist natürlich völlig klar, dass es eine bedingungslose Grundsicherung geben muss, die allen Arbeitslosen ausgezahlt wird und die in angemessener Höhe sein muss, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen und am soziokulturellen Leben teilzuhaben. Dies ist notwendig, damit sie weniger Druck, Arbeit zu finden und damit auch eine bessere Verhandlungsbasis gegenüber den ArbeitgeberInnen haben.

Davon abgesehen bin ich der Meinung, dass im von mir angestrebten demokratischen Sozialismus alle Menschen durch solidarische Zusammenarbeit zum gesellschaftlichen Gelingen beitragen sollten, jedeR nach seinen Fähigkeiten und möglichst stark nach seinen/ihren Interessen. Nur so kann produziert werden, was vorher gemeinsam demokratisch entschieden wurde.

Ein BGE ist nicht antikapitalistisch. Letzten Endes verschärft es stattdessen auch noch gesellschaftliche Probleme, die im Kapitalismus entstanden sind. Deshalb können auch Linke dagegen sein und sollten es aus meiner Sicht auch, um die Zeit zu haben, sich sinnvolleren Projekten zu widmen.